Es gibt auf dieser Welt ziemlich viel Unrecht. Das kann und wird keiner abstreiten. Etwas völlig anderes ist es, wenn einem selbst Unrecht angetan wird.
Ich habe eine Freundin A., die ich seit Jahren kenne. Mir war nicht bewusst, dass besagte Freundin nicht wusste, dass ich bisexuell bin - wie dies ihrer Aufmerksamkeit entgehen konnte, kann ich nicht beantworten, da ich meine Bisexualität in keinster Weise versteckt habe. Auf jeden Fall hat sie es vor einiger Zeit erfahren und reagierte für mich überraschend positiv und akzeptierend. Sie hat eine teilweise sehr altmodische Denkweise, deswegen war ich darüber sehr froh.
Vor ein paar Tagen jedoch erzählte mir eine weitere Freundin, dass A. sich hinter meinem Rücken sehr beleidigend über mich geäußert hatte. Laut dieser Freundin sagte sie etwas wie: "Das ist so schlimm. Stell dir mal vor, sie will was von dir und dann greift sie dich irgendwie komisch an ... und na, wäh! Ich würd' sofort aufspringen, das geht gar nicht!" und tat das ganze überhaupt als "Phase" ab.
Mir ist meine sexuelle Ausrichtung seitdem ich ungefähr vierzehn bin bewusst. Seitdem ich sechzehn oder siebzehn bin, stehe ich öffentlich dazu. Also dauert besagte "Phase" seit ungefähr sieben Jahren an - eine lange Zeit für eine "Phase".
Für all jene, die sich gerade in A.'s Schuhen befinden und denken, dass ihr Freund oder Freundin sich nur in einer vorübergehenden Phase befindet - nein. Es kann vielleicht sein, dass das Interesse an Männern oder Frauen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, ja, es kann sogar sein, dass es sich laufend ändert.
Früher war ich mehr an Männern interessiert, dann mehr an Frauen, jetzt stehe ich bei ziemlich genau 50/50. Aber das bedeutet nicht, dass ich irgendwann "nur" lesbisch oder "nur" hetero war.
So viel zu der "Phase". Hofft nicht darauf, dass es sich ändert. Es ändert sich nicht. Es ist, wie es ist und es bleibt auch so. Ganz egal, ob das nun jemand bei mir hofft oder bei irgendeinem anderen bisexuellen Menschen in eurer Umgebung. Und es ist keine Phase.
"Das ist so schlimm. Stell dir mal vor, sie will was von dir und dann greift sie dich irgendwie komisch an ... und na, wäh! Ich würd' sofort aufspringen, das geht gar nicht!"
Das tat ehrlich gesagt ein bisschen weh. Die Aussage mit der "Phase" hatte ich mehr oder weniger erwartet, da ich A. einfach schon zu lange kenne um nicht zu wissen wie ihr Gehirn arbeitet.
Ich bin nicht wirklich wütend auf sie. Ich bin etwas verletzt, aber am meisten musste ich über sie lachen, während sie mir Leid tat. Ihre Engstirnigkeit macht mich traurig, denn sie ist weit intelligenter als ich. In manchen Teilen ist sie bewundernswert - sie ist einer von den diszipliniertesten, klügsten, organisiertesten Menschen, die ich kenne und ich kann nicht anders als ihr in diesen Teilen ihres Lebens meinen aufrichtigen Respekt zu zollen.
Aber das sie - nach meiner scherzhaften, aber ernst gemeinten Versicherung, als wir darüber geredet hatten, dass ich nie Interesse auf diese Art an ihr gehabt habe und haben werde - so darüber redet ... Habe ich ein "Wäh!" verdient? Hat irgendjemand auf dieser Welt ein "Wäh!" verdient, weil er oder sie einen Menschen des gleichen Geschlechtes liebt?
Ich frage euch, jetzt hier und diesem Moment: Was würdet ihr tun, wenn eure beste Freundin oder euer bester Freund euch erzählen würdet, dass er bisexuell oder homosexuell ist? Würdet ihr ihn anlächeln und sagen: "es ist okay" und es auch so meinen oder würdet ihr in euren Gedanken ein großes, blinkendes "Wäh!" stehen haben?
Seid ehrlich, verdammt! Es sagt sich leicht, dass man tolerant ist und alles akzeptiert. Es sagt sich sehr, sehr leicht. Aber dass man es dann ist - das ist der schwere Part. Hinterfragt euch. Hinterfragt jedes "Wäh!". Hinterfragt das Schweigen eurer Freunde, wenn ihr einen Scherz über Homosexualität macht, so wenig ihr diesen auch ernst meint. Hinterfragt alles und jeden und am allermeisten euch selbst.